Das voraussichtliche Verschwinden des Herzkasperlzelts sendet kein gutes Zeichen.

Bereits zum zweiten Mal seit 2022 scheppert es beim Zulassungsverfahren für die Oide Wiesn. Ihre erste Ausgabe nach der Pandemiepause fand nämlich mit der Schützenlisl statt der Schönheitskönigin statt, die davor ab 2017 als Volkssängerzelt diente - und das mit einigem Erfolg. Der Austausch von Gerda Reichert durch Lorenz Stiftl als Wirt sorgte damals für Gesprächsstoff, weil dieser offenbar bevorzugt wurde, obwohl das Wirtschaftsreferat sein Kulturprogramm schwächer bewertete. Zum Zug kam er offenbar nicht zuletzt, weil er das Zelt, das auch für die Schönheitskönigin genutzt wurde, dem Zeltverleih abkaufte. Eigentum ist nämlich eine der 13 Bewertungskategorien, in denen die Stadt ihre Bewerber bewertet, und Reichert mietete das Zelt zuvor lediglich.

Bereits damals sorgte es für Stirnrunzeln, wieso sich die Stadt überhaupt dermaßen eigenartige Bewertungskriterien auferlegt, die dazu führen, dass qualitativ schwächer bewertete aus technischen Gründen bevorzugt werden müssen. Nicht weniger unverständlich ist allerdings auch, wieso die Empörung im Stadtrat folgenlos blieb und keine Veränderung des Kriterienkatalogs zur Folge hatte.

Nach dem Herzkasperl kommt der Boandlkramer

Dieser Umstand bewirkt nur zwei Jahre später, dass erneut ein Wirt, dem bislang keine Nähe zur bairischen Kulturszene nachgesagt wird, auf der Oidn Wiesn zum Zug kommt. Wie zuerst die Süddeutsche Zeitung berichtete, wird Beppi Bachmeiers Herzkasperlfestzelt aller Voraussicht nach von Peter Schöniger beerbt, der in erster Linie als Betreiber der reisenden Bayernland-Festhalle bekannt ist.

Dass dieser Wirtewechsel von einer Vielzahl von Presseartikeln, prominenten Meinungsmachern und gar einer recht erfolgreichen Petition an den Stadtrat begleitet wird, liegt im Hintergrund der Kontrahenten begründet. Der Platzhirsch Bachmeier hat sich in den 50 Jahren seiner Wirtetätigkeit zu einem wesentlichen Akteur der münchnerischen Kulturszene entwickelt. Nicht zuletzt ist sein Theater im Fraunhofer eine der wichtigsten Volksmusikbühnen der Stadt. Die größere Strahlkraft als Tempel der neuen Volksmusik hat aber freilich sein deutlich größeres Herzkasperlzelt, in dem jedes Jahr um die 50 (sehr) verschiedene Gruppen auftreten, die dank seines Standplatzes auf der Oidn Wiesn ein breiteres Publikum erreichen können.

Der neue, Peter Schöniger, hingegen, betreibt mit der Festhalle Bayernland ein Festzelt kommerzieller Ausrichtung, ohne besonderen kulturellen Anspruch. Blaskapellen finden nur in Ausnahmefällen den Weg auf sein Musikpodium. Wenn er seinen Gästen etwas Besonderes bieten möchte, engagiert er dafür regelmäßig DJ Ötzi und Mickie Krause - und das nicht irgendwo, sondern im Volksfestkernland. Wasser auf die Mühlen derer, die Volksfeste als rein kommerzielle Saufveranstaltungen sehen möchten, deren kultureller Wert zwischen Megapark und Oktoberfest Oberhausen einzuordnen ist. Unterstrichen wird dieser Eindruck durch den Einsatz von Werbemitteln, die nicht so recht zu einem bayerischen Volksfest passen möchten. Ironischerweise soll sein Zelt übrigens Boandlkramerei heißen.

Ist nur die Oide Wiesn eine kulturelle Veranstaltung?

Dieser Kontrast ist diesmal offenbar dermaßen alarmierend, dass es tatsächlich zu Änderungen bei der städtischen Beurteilung der Wiesntauglichkeit der einzelnen Bewerber kommen soll. Als Problem wurde erkannt, dass man für die Oide Wiesn nach anderen Kriterien bewerten, oder zumindest gewichten muss, als für die richtige Wiesn, sodass eine Bewerbung mit dem hochwertigeren Programm nicht einfach durch Nebenschauplätze wie Ökologiekonzept oder Zelteigentum ausgestochen werden kann.

Schließlich sollen Tradition und kultureller Anspruch hochgehalten werden - auf der Retortenveranstaltung Oide Wiesn, natürlich, nicht etwa auf dem heuer zum 189. stattfindenden Münchner Oktoberfest. Für dieses fehlt leider schon seit Jahren das intellektuelle Fundament, das notwendig ist, um die Unterscheidbarkeit der Wiesn von gewöhnlichen, großteils belanglosen Volksfesten wie dem Münchner Frühlingsfest, sicherzustellen. Auch denjenigen, die sich damit eigentlich nicht beschäftigen wollen, müssen akzeptieren, dass die Strahlkraft der Wiesn dermaßen groß ist, dass sie das Bild von München, Bayern und gar Deutschland in der Welt prägt. Wer die Wiesn zu einer holen Kostümparty verkommen lässt, auf der Robbie Williams zu einem Botschafter bairischer Bierzeltkultur verklärt wird, richtet damit Schaden an, der sich nicht nur auf die Theresienwiese beschränkt.

Vor diesem Hintergrund lohnt sich allerdings auch ein Blick auf die Beschreibung der derzeit gültigen Bewertungskriterien. Der Punkt Tradition ist der einzige, bei dem explizit zwischen Gastronomiebtrieben mit Sitzplätzen, also den Festzelten, und anderen unterschieden wird. Während Schausteller in dieser Kategorie vierfach punkten können, ist sie eigenartigerweise für Gastronomen nur halb so wichtig. „Traditionspunkte erhalten nur noch eng mit dem Oktoberfest verknüpfte historische und erhaltenswerte Gastronomiebetriebe, die seit mindestens 40 Jahren auf dem Oktoberfest stehen, ihr traditionelles Betriebskonzept erhalten haben und damit fester Bestandteil des Oktoberfestes geworden sind“, heißt es im Leitfaden.

Flüchtig gelesen also nur eine Sicherstellung der Unantastbarkeit der Wirtsdynastien, die ihre Bierburgen über Generationen hinweg verteidigen, was an sich schon hinterfragenswert ist. Doch halt, steht da nicht auch, dass nur Betriebe, die „ihr traditionelles Betriebskonzept erhalten haben“ Punkte bekommen sollen? Haben diejenigen Wirte, die gestandene Festkapellen durch vierköpfige Party- oder gar Showbands ersetzen, die auf Discobeleuchtung und Bühnennebel installiert haben, die ihr Zelt für eine Mallorcaparty mit Mickie Krause hergeben, dafür wirklich Traditionspunkte erhalten? Wer sein Zelt so unbedarft vermeintlich dem Zeitgeist anpasst und dabei den geringsten Anspruch vermissen lässt, macht sich letztendlich austauschbar. Allein der Name der Wirtsfamilie trägt schließlich nicht zur Qualität der Wiesn bei und ein gewöhnliches, zeitgenössisches Bierzelt kann auch jemand anderes führen.

Eine weitere interessante Kategorie ist die Anziehungskraft, in der bewertet wird, „welche Anziehungskraft das angebotene Geschäft auf Volksfestbesucher ausübt.“ Nun hat freilich nicht jeder Volksfestbesucher den gleichen Geschmack, weshalb man sich ruhig die Frage stellen darf, wen man denn eigentlich ansprechen möchte. Wie die unwürdige Diskussion um den ehrenwerten Versuch, in der Bräurosl wieder eine echte Festkapelle zu installieren gezeigt hat, haben sich manche Wiesnwirte über die Jahrzehnte ein Publikum gezogen, das eher auf der Suche nach einer Mottoparty als einem bairischen Volksfest ist. Aufgrund einer nicht vorhandenen Kommunikationsstrategie haben 2022 der neue Bräuroslwirt Peter Reichert und seine Verpächterin, die Paulanergruppe, das Bräurosl-Publikum doch tatsächlich mit Blasmusik konfrontiert.

Die uninformierten Gäste, die vom vorherigen Wirt Georg Heide am Nachmittag Schlager volkstümlicher und am Abend Schlager mallorquiner Geschmacksrichtung gewohnt waren, konnten sich - in Dirndlgwand und Lederhose gekleidet - dafür gar nicht begeistern. In Kommentaren war immer wieder zu lesen, wer Blasmusik hören wolle, könne das doch auf der Oidn Wiesn tun. Was von dieser Diskussion in der größeren Öffentlichkeit ankam war, dass im Zusammenhang mit dem Münchner Oktoberfest zwar gerne von Tradition gesprochen wird, letztendlich aber keine geboten wird. (Was ja eh klar war, weil da doch nur Breißn hingehen.) Hat man also nicht möglicherweise in den letzten Jahren die falschen angezogen? Um es auf die Spitze zu treiben: Würde ein Festwirt Taylor Swift engagieren, müsste er dann die höchste Punktzahl bekommen oder wäre nicht eher eine gestandene Festkapelle vorzuziehen?

Die Wiesn ist mehr als ein Wirtschaftsbetrieb

Gegenüber der Süddeutschen äußerte sich Wiesnchef Clemens Baumgärtner nicht nur ungewöhnlich deutlich darüber, was er von Beppi Bachmeiers Eignung als Wiesnwirt im Jahr seines 50. Berufsjubiläums hält, sondern relativiert auch die kulturelle Bedeutung der Wiesnzelte. Wenn man, wie er es nahelegt, die Wiesn aber nur noch als Gastronomieleistungsschau durchführt, wird sie weiterhin an Charakter verlieren. Einem Wiesnchef muss mehr an der Wiesn liegen als nur die Umsatzoptimierung der großen Wiesnwirte. Ein Wirtschaftsreferent hingegen muss kein Freund des Oktoberfests sein und dieses auch nicht unbedingt verstehen. Es hat allerdings eine Führung verdient, die genau das tut. Deshalb wäre es wünschenswert, eine Wiesnleitung zu haben, die sich um nichts anderes zu kümmern hat und sie nicht automatisch dem Wirtschaftsreferenten zu überlassen.

Die größere Lust daran, die Wiesn zu gestalten, scheinen momentan einige Stadträte zu haben. Hoffentlich vergessen sie bei der Neugestaltung der Bewertungskriterien nicht die richtige der beiden Wiesn.